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Gene statt BMI: Abnehmspritze mit System

Wir alle kennen es: Die einen sind schon nach einem kleinen Snack satt, die anderen brau­chen ein ganzes Menü, um über­haupt ans Aufhören zu denken. Dass sich solche Unter­schiede auch in der Adipo­si­tas­the­rapie bemerkbar machen, über­rascht nicht – Abnehmen ist komplex, und die passenden Medi­ka­mente zu finden, oft ein Glücks­spiel. Auf simple Kenn­zahlen wie den Body-Mass-Index zu schauen, bringt hier oft wenig. Zwei Menschen mit dem glei­chen BMI von 35 kg/m² können auf dasselbe Medi­ka­ment völlig unter­schied­lich reagieren. Die gute Nach­richt: Ein gene­ti­scher Test könnte hier weiterhelfen.

Satt? Kommt auf den Menschen an

Forscher der Mayo Clinic ließen knapp 800 Personen mit Adipo­sitas so lange Lasagne, Pudding und Milch konsu­mieren, bis sie satt waren. Das Ergebnis: Die Spann­breite reichte von 140 bis über 2.000 Kalorien.

Klas­si­sche Para­meter wie Körper­ge­wicht, Hormone oder Alter erklärten diese Unter­schiede kaum. Die Spur führte zur Genetik. Die Forscher kombi­nierten Vari­anten aus zehn Genen, die mit Essver­halten asso­zi­iert sind, und entwi­ckelten daraus den Calo­ries to Satia­tion Genetic Risk Score (CTS-GRS). Das Prinzip: Eine Blut- oder Spei­chel­probe genügt, um die indi­vi­du­elle Sätti­gungs­schwelle zu bestimmen.

Von „Hungry Brain“ zu „Hungry Gut“

Und was bedeutet das für die Praxis?

· Pati­enten mit hoher Sätti­gungs­schwelle („hungry brain“) – also dieje­nigen, die große Portionen benö­tigen, bis sie satt sind – profi­tieren stärker von Phen­termin-Topi­ramat. Das Präparat setzt genau dort an, indem es die Porti­ons­größe wirksam begrenzt.

· Pati­enten mit nied­riger Sätti­gungs­schwelle („hungry gut“) – die eher durch häufiges Snacken auffallen – spra­chen in den Studien besser auf Liraglutid (Saxenda®) an. Liraglutid ist ein GLP-1-Analogon, das nicht nur den Appetit dämpft, sondern vor allem die Mahl­zei­ten­fre­quenz redu­ziert – und damit genau das typi­sche Muster des „hungry gut“ adressiert.

Damit wird deut­lich: Die „eine effek­tive Abnehmspritze für alle“ gibt es nicht. Wer vorab weiß, welche Substanz am besten wirkt, erspart Pati­enten die frus­trie­rende Erfah­rung mona­te­langer Therapie ohne Ergebnis – und kann gezielter beraten.

Präzi­sion statt Trial and Error

Für den klini­schen Alltag ist das ein attrak­tiver Gedanke: keine langen Phasen des Auspro­bie­rens, sondern ein klarer Hinweis, welches Präparat sinn­voll ist. Der Test wird in den USA bereits in zahl­rei­chen Kliniken ange­wendet. Geplant sind Erwei­te­rungen – etwa für Semaglutid (Ozempic®, Wegovy®) – und die Inte­gra­tion von Mikro­biom- und Meta­bolom-Daten. Ob und wann das Verfahren auch hier­zu­lande verfügbar sein wird, ist noch offen.

Welche Gedanken haben Sie zu diesem Thema? Und möchten Sie mehr darüber erfahren? Hier finden Sie die wissen­schaft­liche Veröf­fent­li­chung dazu:

Cifuentes, Lizeth et al. Genetic and physio­lo­gical insights into satia­tion varia­bi­lity predict responses to obesity treat­ment. Cell meta­bo­lism vol. 37,8 (2025): 1655–1666.e5.

DOI: 10.1016/j.cmet.2025.05.008